Workshop #2
Zwischen Transformation und Kollaps: Wird alles immer besser?
In ihrer Studienreihe „Klimaneutraler Gesundheitssektor“ erforschen das F.A.Z.-Institut und die BARMER jedes Jahr, wo das Gesundheitswesen bei der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit steht. Beim Zukunftsworkshop der WeACT Con 2025 entwickelten Martin Blaschka (Inno3 GmbH) und Dirk Weller (BARMER) gemeinsam mit den Teilnehmenden verschiedene Szenarien, wie es vom Status quo aus weitergehen könnte.
Was sind die Kernthesen aus den Impulsvorträgen?
Der Gesundheitssektor ist für etwa sechs Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich – eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit ist daher dringend notwendig. Wie Branchenakteur*innen und Bevölkerung das „Klimaschutzklima“ im Sektor sehen, zeigt der BARMER-Klimaindex.
- Laut den aktuellen Zahlen aus der Bevölkerungsbefragung halten 68 Prozent der Befragten die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel für wichtig und 62 Prozent für gesundheitsrelevant.
- Gleichzeitig ist der Indexwert, wie klimaneutral die Zukunft der Branche bei den Branchenakteur*innen selbst eingeschätzt wird, bereits zweimal in Folge gesunken, um insgesamt 4,7 auf 18,8 Punkte.
- Das deutet auf eine wachsende Skepsis und ein Gefühl der Stagnation hin.
Welche Herausforderungen müssen überwunden werden?
Unter den Befragten der BARMER-Studie gab jede zweite Person an, dass sie sich konkrete Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Gesundheitswesen wünscht.
- Gleichzeitig glaubt aber nur jede fünfte Person, dass solche Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden. Genauso wenige glauben, dass der Gesundheitssektor gut auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet ist. Hier zeigt sich eine große Vertrauenslücke.
- Auch auf organisatorischer Ebene offenbart sich eine Diskrepanz: Während rund die Hälfte der befragten Entscheider*innen Nachhaltigkeitsmaßnahmen für relevant hält, sieht das nur ein Drittel auch im eigenen Wirkungskreis so.
- Dementsprechend sehen viele „die Anderen“ stärker in der Verantwortung als sich selbst. Hinzu kommen strukturelle Hürden wie unklare Zuständigkeiten, schleppende Umsetzung und vor allem fehlende Finanzierung.
Welche positiven Signale gibt es?
Die Verankerung von Nachhaltigkeitsstrategien in Organisationen nimmt zu, die Akzeptanz für Veränderungen steigt, sofern sie konkret und niedrigschwellig sind.
Die Teilnehmer*innen des Workshops berichteten davon, dass Maßnahmen wie Sanierungen, der Umstieg auf erneuerbare Energien oder nachhaltige Mobilitätskonzepte aktiv vorangetrieben werden und auch die Professionalisierung bei den Transformationsprozessen zunehme.
Was wurde gemeinsam erarbeitet?
Martin Blaschka stellte die Methode „Futures Thinking“ nach Dr. Jim Dator vor. Sie lädt dazu ein, die klassische, erwartbare Fortschreibung der Gegenwart („Continuation“) um alternative Visionen zu ergänzen – auch solche, die Brüche, Rückschritte oder Innovationssprünge mitdenken.
Die Workshop-Teilnehmer*innen spielten in Arbeitsgruppen drei Szenarien durch:
- „Collapse“: Der Zusammenbruch der Systemstabilität infolge von Klimakatastrophen oder geopolitischen Krisen, auf die das Gesundheitswesen nicht angemessen reagieren kann, da zu viele Menschen mit zu wenig Ressourcen behandelt werden müssen.
- „Transformation“: Ein positiver Wandel durch Technologie – etwa Robotik, telematische Diagnostik, KI-Assistenten und automatisierte Kreislaufwirtschaft – sowie durch gesellschaftliches Umdenken, hier allerdings mit der Prämisse ausreichend verfügbarer nachhaltiger Energie.
- „Discipline“: Eine neue Balance zwischen Wachstum/Wohlstand und Nachhaltigkeit, konkret erreicht durch bessere Infrastruktur und Prävention, priorisierte Versorgung („digital vor ambulant vor stationär“) und eine „Einheits-GKV“.
Der Klimaindex der BARMER
In der jährlichen Studie „Klimaneutraler Gesundheitssektor“ erfassen die BARMER und das F.A.Z.-Institut den Transformationsstand der Branche auf dem Weg zur Klimaneutralität. Im Jahr 2024 wurde neben Vertreter*innen des deutschen Gesundheitssystems erstmals auch die Bevölkerung repräsentativ befragt – zu Erwartungen, Wahrnehmungen und Zukunftsängsten. Das Ergebnis: Obwohl zwei Drittel der Befragten den Schutz vor dem Klimawandel als persönliches Anliegen sehen, wird der Gesundheitssektor bisher kaum als relevante Akteurin erkannt. Die Transformation zur Klimaneutralität ist angestoßen, stagniert jedoch – insbesondere wegen fehlender finanzieller Mittel, organisatorischer Hürden und geeigneter politischer Rahmenbedingungen.
Weitere Informationen und die Studie als PDF-Download unter:
https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/mensch/gesundheit-2030/studienuebersicht/faz-klimaschutzindex-2024-2025-1290722
Was waren die Learnings und „Aha“-Momente im Workshop?
Stagnation ist nicht das ganze Bild – und Zukunft kein schicksalhafter, linearer Verlauf, sondern zu jedem Zeitpunkt durch Denken und Handeln gestaltbar. Es gibt viel Entschlossenheit und Mut zu kreativen Lösungen.
- Das Szenario, in dem die Nachhaltigkeit und Tragfähigkeit im Gesundheitswesen ernsthaft kollabieren, ist zwar dystopisch, aber nicht unplausibel. Um es zu verhindern, ist es entscheidend, dass alle Akteur*innen sich als Teil der Lösung begreifen und Verantwortung übernehmen.
- Laut Dirk Weller spricht einiges dafür, dass die Twin-Transition von Digitalisierung und Nachhaltigkeit auch im Gesundheitswesen zu unverhofften finanziellen Spielräumen und Durchbrüchen führen kann.
Zudem wurde klar: Entscheider*innen im Gesundheitswesen müssen alltägliche Informationsfluten bewältigen, was in einen mentalen Tunnelblick führen kann. Der Perspektivwechsel hin zu mehreren möglichen Zukünften wirkt hier häufig befreiend.
Welche Rahmenbedingungen könnten bei der Transformation helfen?
Nachhaltigkeitsstrategien und -maßnahmen im Gesundheitswesen müssen langfristig gedacht und umgesetzt werden – auch über Legislaturperioden hinaus und unter Berücksichtigung verschiedener Entwicklungsszenarien. Das Gesundheitswesen, die Politik und die Bevölkerung müssen hierfür ihre jeweilige Verantwortung übernehmen.
In einem Satz:
Was können die Teilnehmenden ab morgen anders machen?
Den Perspektivwechsel zulassen und sich von der Vorstellung eines einzigen, vorgezeichneten Pfades lösen – nur so lässt sich Zukunft aktiv gestalten.
Text: Matthias Bauer, Ahnen&Enkel
Martin Blaschka ist Geschäftsführer der Inno3 GmbH in Leipzig und leitete zuvor als Intrapreneur ein Innovationszentrum am WIG2 Institut. Seit mehr als zehn Jahren baut er Netzwerke rund um die digitale Gesundheitsversorgung auf, unterstützt neue Lösungen auf dem Weg in den Gesundheitsmarkt und gestaltet innovationsgetriebene Eventformate.
Dipl.-Psych. Dirk Weller ist seit 2013 bei der BARMER. Als PR-Referent betreut er dort Sozialforschungsprojekte und verbindet sie mit Kommunikation zum gesellschaftlichen Engagement des Unternehmens. Seit 2024 ist er für die BARMER Mitglied des Vorstands der Initiative D21, Deutschlands größtem Netzwerk für die digitale Gesellschaft. Seit 2012 engagiert er sich zudem als Nationalkoordinator Deutschland und Member of Trustee Board für Simpol, einer internationalen Initiative für bürgergetriebene Global Governance.