Workshop #4
Schmeckt und rechnet sich: Wege zu nachhaltigem Klinikessen
Wir kann Ernährungs- und Konsumverhalten nachhaltig und alltagstauglich verändert werden? Diese Frage diskutierten die Teilnehmenden des Workshops #4 gemeinsam mit Dr. Evelyn Medawar (PAN e. V.) und Mario Bergmann (viversus® gAG). Dabei wurden wissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt, Praxiserfahrungen geteilt und pragmatische Lösungsansätze besprochen.
Was sind die Kernthesen aus den Impulsvorträgen?
Klimakrise und Ernährungsarmut sind Teil einer „globalen Syndemie“ und als Probleme miteinander verflochten. Lösungen sollten daher querschnittartig gedacht werden, um mehrere Herausforderungen gleichzeitig zu adressieren und „Co-Benefits“ zu schaffen.
Die Planetary Health Diet beschreibt, wie die künftige Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen ernährt werden kann, ohne die planetaren Belastungsgrenzen zu überschreiten.
Dafür muss die heutige Bevölkerung ihre Ernährung schrittweise umstellen: weniger Fleisch und Zucker, mehr Hülsenfrüchte und Gemüse. Das Konzept ist die wissenschaftliche Grundlage für die Ernährungswende.
Was behindert die Transformation zu einer nachhaltigeren Ernährung?
Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Zugangsproblem, erklärt Mario Bergmann.
Die größte Herausforderung liege darin, die derzeit oft negativ geprägte Kommunikation in positive Botschaften umzuwandeln. So sei etwa der Begriff „Nachhaltigkeit“ in der öffentlichen Wahrnehmung regelrecht „verbrannt“ und werde von Populist*innen zum Feindbild stilisiert – zu stark ist die ungerechtfertigte Assoziation mit Verboten.
- Mario Bergmann verweist auf Prof. Dr. Johanna Gollnhofers Buch „Das 60 %-Potenzial“, in dem sie empfiehlt, auf mahnende Aussagen und Appelle zu verzichten.
- Um über die Early Adopter hinaus breite Akzeptanz zu finden, müssen neue, emotionale Zugänge geschaffen werden mit authentischen, positiven Botschaften. Statt beispielsweise auf die Krankheitsrisiken bei ungesunder Ernährung hinzuweisen, sollte der Zugewinn bei Gesundheit und Lebensfreude stärker thematisiert werden.
- Auch müssen Leuchtturmprojekte stärker öffentlich sichtbar gemacht werden.
Konkret in Bezug auf Krankenhäuser: Welche Hürden gibt es?
Derzeit setzen nur geschätzte vier Prozent der Kliniken überhaupt Maßnahmen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung um, nur ca. zwei Prozent sind freiwillig DGE-zertifiziert, haben also ihr Verpflegungskonzept durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung evaluieren lassen.
Die Teilnehmer*innen des Workshops machten zudem darauf aufmerksam, dass eine Umstellung der Klinikverpflegung immer auch finanzielle Mehrkosten und organisatorischen Aufwand mit sich bringt. Letzterer müsse – etwa durch die Berücksichtigung von Sonderwünschen beim Essen – häufig vom medizinischen Personal getragen werden, das meist schon stark überlastet ist.
Ein wichtiges Learning: Klinikmitarbeitende müssen von Beginn an in ein Transformationsprojekt einbezogen werden, um die Identifikation und Akzeptanz zu fördern.
Was war ein „Aha“-Moment im Workshop und warum?
Dr. Evelyn Medawar erklärte, dass in einem Krankenhaus durchschnittlich 5,32 € Budget pro Tag zur Verfügung steht, um eine Patientin oder einen Patienten mit drei Mahlzeiten zu versorgen. Dieser geringe Betrag führt oft zur Auslagerung der Küchen an externe Caterer – ob das Geld spart und Nachhaltigkeit fördert, bleibt fraglich.
Wie können pragmatische Lösungen aussehen?
Für Mario Bergmann muss Veränderung ein Business Case sein. Das heißt, sie muss sich rechnen und skalierbar sein.
- Als konkretes Beispiel nannte er die Fast-Food-Kette Burger King, die seit 2024 vegetarische Produkte sogar günstiger anbietet als fleischhaltige. Schon Anfang 2022 lag der Anteil der dort verkauften Plant-Based-Burger laut Unternehmenszahlen bei bereits 20 %.
- Generell sieht Bergmann in der Gastronomie großes Potenzial, um Zugänge zu nachhaltigerer Ernährung zu eröffnen. Dennoch zahlen Verbraucher*innen seiner Beobachtung nach meist einen „Ethik-Aufschlag“ für vegetarische Gerichte, obwohl diese oftmals günstiger herzustellen sind.
Diskutiert wurden im Workshop auch die Beispiele einer deutschen Klinik, die pflanzliche Menüs zum Standard gemacht hat, sowie einer anderen, die beispielsweise Schinkenaufschnitt zum Frühstück nur auf explizite Nachfrage, dann aber umstandslos serviert. Pflanzliche Ernährung sollte im Sinne der Planetary Health Diet zum „Normalzustand“ werden, so ein Fazit des Workshops.
Das von Dr. Evelyn Medawar geleitete Projekt „Healthy Hospital Food“ des Netzwerks PAN (Physicians Association for Nutrition) unterstützt Kliniken dabei, ihr Ernährungskonzept entsprechend umzustellen.
Welche Rahmenbedingungen könnten helfen?
Lebensmittelbesteuerung sollte stärker als politisches Lenkungsmittel eingesetzt werden, etwa durch 100 % Mehrwertsteuer auf Fleisch und 0 % auf Hülsenfrüchte. Dies müsste auf Bundesebene entschieden werden.
Auf Landesebene sollte die Ernährungsstrategie von 2023/24 umgesetzt und ernährungsbezogene Bildung in Kitas, Schulen und Medizinstudiengängen praxisnah ausgebaut werden, beispielsweise durch gemeinsame Zubereitung von Mahlzeiten. Mario Bergmanns Projekt „GRILLNINJAS®“ etwa zeigt, wie man Kinder erfolgreich für vegetarisches Essen begeistern kann.
In einem Satz:
Was können die Teilnehmenden ab morgen anders machen?
„Einfach mal machen, statt nur darüber zu reden.“
Text: Matthias Bauer, Ahnen&Enkel
Mario Bergmann ist seit 25 Jahren Unternehmer und betreibt in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien. Seit 2019 ist er zudem Vorstand der viversus® gemeinnützigen Aktiengesellschaft, mit der er ehrenamtlich bundesweit gesunde Ernährung und Nachhaltigkeitsbildung zu tausenden Schülerinnen und Schülern bringt, unter anderem mit dem Projekt „GRILLNINJAS®“ und Deutschlands erstem Nachhaltigkeitslehrmagazin LUGS® (Lasst Uns Gut Sein) für 3 Mio Grundschüler*innen.
Dr. Evelyn Medawar ist ausgebildete Neurowissenschaftlerin und Biologin. Sie promovierte zu nachhaltigen Ernährungsweisen und deren Effekte auf die Darm-Gehirn-Kommunikation. Aktuell ist sie Leiterin des Projektes „Healthy Hospital Food“ bei der Physicians Association for Nutrition e.V. (PAN).