Internationales Plenum #1
Die Luft, die wir atmen
Luftverschmutzung gilt vielen als Problem ferner Metropolen – sichtbar nur in Tagesschau-Bildern aus Peking oder Neu-Delhi. Doch sie betrifft uns alle. Warum wir das Problem ernst nehmen sollten und wie es mit der Klimakrise zusammenhängt, zeigen gleich mehrere Vorträge auf der WeACT Con.
Ella Roberta ist neun Jahre alt, als sie an den Folgen einer schweren Asthma-Attacke stirbt. „Am Anfang dachten wir, sie hätte eine starke Erkältung“, erinnert sich ihre Mutter Rosamund Adoo-Kissi-Debrah. „Aber es war eine der schwersten Asthmaerkrankungen, die jemals im Vereinigten Königreich diagnostiziert wurde.“ Erst nach dem Tod ihrer Tochter erfährt sie, was die Krankheit ausgelöst hatte: Die extreme Luftverschmutzung an einer nahegelegenen Hauptverkehrsstraße, die regelmäßig die gesetzlichen Grenzwerte überschritt. Adoo-Kissi-Debrah gründet eine Stiftung ( siehe Infokasten) und zieht vor Gericht – mit Erfolg. Das Urteil bestätigt: Die Luftverschmutzung hat maßgeblich zum Tod von Ella beigetragen. Zum ersten Mal wird in Großbritannien Luftverschmutzung als offizielle Todesursache anerkannt. Was wie ein tragischer Einzelfall wirkt, ist Teil eines globalen Problems, das auf der WeACT Con von mehreren Redner*innen eindrücklich beleuchtet wird.
Die Ella Roberta Stiftung
Nach dem Tod ihrer Tochter gründete Rosamund Adoo-Kissi-Debrah die Ella Roberta Stiftung. Sie setzt sich für saubere Luft, gesundheitliche Aufklärung und politische Maßnahmen gegen Luftverschmutzung ein. Ziel ist es, Luftqualität als Menschenrecht zu verankern.
Weitere Informationen über die Arbeit der Stiftung finden Sie auf der offiziellen Website: https://www.ellaroberta.org
Unsichtbare Gefahr
Dr. Aiofe Kirk checkt in jeder Stadt, in der sie ankommt, zuerst die Luftqualität. In Berlin gibt sie dem Publikum der WeACT Con vorsichtige Entwarnung: „Die Luftqualität hier ist gut.“ Erleichterung im Raum – zumindest kurz. Denn die Internistin ergänzt: „Aber sie erfüllt nicht die Standards der Weltgesundheitsorganisation.“
Kirk ist Gründerin der Initiative Irish Doctors for Environment und berät das Weltwirtschaftsforum als Expertin für Luftverschmutzung. Sie warnt: Luftverschmutzung ist nach Rauchen der zweitgrößte Risikofaktor für nicht übertragbare Krankheiten. 99 Prozent der Menschen atmen Luft, die als gesundheitsschädlich gilt. Jedes Jahr sterben über acht Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen von verschmutzter Luft. Und nur sieben Länder weltweit erfüllen die WHO-Grenzwerte für saubere Luft. Die Folgen betreffen uns alle: von Kopfschmerzen über Augenreizungen und Herzprobleme bis hin zu Auswirkungen auf unsere Fruchtbarkeit.
Klimakrise und Luftverschmutzung
Was hat Luftverschmutzung mit der Klimakrise zu tun? „Klimafolgenanpassung und der Kampf für saubere Luft sind zwei Seiten derselben Medaille“, sagt dazu Dr. Aiofe Kirk. Denn einer der größten Treiber der Erderhitzung ist zugleich Hauptverursacher schmutziger Luft: die Verbrennung fossiler Brennstoffe.
Auch bei den Lösungen gibt es Überschneidungen. Wer auf erneuerbare Energien umsteigt und den öffentlichen Verkehr ausbaut, schützt nicht nur das Klima, sondern sorgt auch für sauberere Luft in Städten. Besonders kurzlebige Klimaschadstoffe wie bodennahes Ozon oder Rußpartikel haben ein hohes Erwärmungspotenzial – mit sofort messbaren Effekten.
Luftverschmutzung, so Kirk, ist dabei oft der politisch zugänglichere Hebel. „Alle sind betroffen, jede*r kann es spüren – und es ist weniger ideologisch aufgeladen als die Klimafrage.“ Der Klimawissenschaftler Mojib Latif bringt es auf den Punkt: „Wenn CO₂ stinken oder sichtbar wäre, hätten wir das Problem längst gelöst.“ (Aus dem Vortrag von Max Jungmann, siehe Internationales Podium 4)
Klimaschutz und Luftreinhaltepolitik müssen also nicht gegeneinander ausgespielt werden – im Gegenteil: Sie können sich gegenseitig verstärken. Wer Emissionen senkt, verbessert die Luftqualität und damit unsere Gesundheit. Und wer für saubere Luft sorgt, leistet auch einen Beitrag zum Klimaschutz ( siehe Infokasten „Wie Klimawandel und Luftverschmutzung zusammenhängen“).
Wie Klimawandel und Luftverschmutzung zusammenhängen
Der Klimawandel verschärft die Luftverschmutzung – mit spürbaren Folgen für unsere Gesundheit:
Hitzewellen erhöhen die Belastung durch Ozon und Feinstaub.
Luftverschmutzung verursacht über 300.000 vorzeitige Todesfälle jährlich in Europa.
Längere Pollensaisons verstärken allergische Beschwerden und Asthma.
Dürren fördern Waldbrände mit giftigem Rauch.
Überschwemmungen begünstigen Schimmelbildung in Innenräumen.
Biodiversitätsverlust bringt neue Allergene in die Atemluft.
Quelle: Marcia Podestà, Vortrag auf der WeACT Con 2025
Ein vor allem städtisches Problem
Luftverschmutzung ist vor allem ein städtisches Problem – und Städte wachsen weiter. Bis 2050 werden voraussichtlich 2,5 Milliarden Menschen zusätzlich in urbanen Räumen leben. Das bedeutet: Städte müssen neu gedacht werden – mit Blick auf Gesundheit, Klimaresilienz und Lebensqualität. „Die gute Nachricht ist: Viele Städte handeln bereits“, sagt Dr. Aiofe Kirk. „Man muss nur nach Paris, London, Singapur oder Peking schauen.“ ( siehe Infokasten „Vier Vorreiter-Städte“)
Eine Frage der Gerechtigkeit
Dass Ella Roberta, die Tochter von Rosamund Adoo-Kissi-Debrah, ein schwarzes Mädchen war, ist tragischerweise statistisch gesehen kein Zufall: Schwarze Menschen und People of Colour sind mehr als dreimal so häufig von Luftverschmutzung betroffen wie weiße Menschen. Die Verbindung von Klimafragen und sozialer Ungleichheit zieht sich wie ein roter Faden durch viele Vorträge der WeACT Con (à Internationales Podium 2). Am Ende passt auch hier eine Formel, die während der Corona Pandemie populär wurde: Wir sitzen nicht im selben Boot – wir erleben nur denselben Sturm. Manche in Yachten, andere in Ruderbooten.
Ella Robertas Mutter hat sieben Jahre lang dafür gekämpft, dass Luftverschmutzung offiziell als Todesursache ihrer Tochter anerkannt wird. Für Dr. Aiofe Kirk ist ihr Fall ein Appell für mehr gegenseitiges Zuhören: „Viele Krisen entstehen, weil wir nicht richtig hinhören. Oft sagen Menschen dasselbe, nur in unterschiedlichen Sprachen. Wir müssen lernen, einander wirklich zuzuhören.“
Vier Vorreiter-Städte
Paris verpflichtet Autofahrer*innen, eine Plakette mit Alter und Emissionen ihres Fahrzeugs sichtbar anzubringen. Ab 2030 werden Verbrenner-Motoren im gesamten Stadtgebiet verboten, schon jetzt fahren nur noch Elektro-Busse.
Peking hat in den letzten fünf Jahren besonders schmutzige Fabriken und Kohlekraftwerke geschlossen und mehr als zwei Millionen Fahrzeuge mit besonders hohen Schadstoffemissionen aus dem Verkehr genommen.
Singapur hat ein System zur Besteuerung von Autos entwickelt, bei dem sich die Höhe der Gebühren und Steuern nach deren Emissionen richten.
London hat seine Umweltezone (Ultra Low Emission Zone) auf alle Stadtbezirke ausgeweitet – Fahrer*innen von Fahrzeugen mit besonders hohen Schadstoffemissionen müssen in dieser Zone eine tägliche Gebühr entrichten.
Quelle: Dr. Aiofe Kirk, Vortrag auf der WeACT Con 2025
Text: Tilmann Eicke, Ahnen&Enkel
Dr. Aiofe Kirk ist Internistin, Allgemeinmedizinerin und Expertin für Luftverschmutzung beim Weltwirtschaftsforum
Rosamund Adoo-Kissi-Debrah ist Gründerin und Vorsitzende der Ella Roberta Foundation, die sich für das Recht auf saubere Luft einsetzt.