Internationales Plenum #4

Wenn CO2 braun wäre …

Wie gelingt es, Klimaschutz und Gesundheitsthemen wirkungsvoll auf die Agenda zu setzen? Im internationalen Plenum 4 raten die Expert*innen, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels im Alltag sichtbar zu machen.

Warum schützen wir das Klima nicht konsequenter – trotz klarer wissenschaftlicher Erkenntnisse? Und warum gelten Klima- und Gesundheitsschutz noch immer als zwei voneinander getrennte Aufgaben?

„Was wir brauchen, ist neben politischer Regulatorik ein klarer Bezug zwischen globaler Herausforderung und lokalem Handeln“, sagt dazu Dr. Maximilian Jungmann von der Universität Heidelberg. Er rät der Branche, die Zusammenhänge zwischen Klima- und Gesundheitsfragen sichtbar zu machen. Der Politikwissenschaftler und Unternehmer beschäftigt sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise – und mit der Frage, warum wir trotz besseren Wissens so oft zu spät dran sind. „Wir wissen viel über die Herausforderungen, wir wissen, wie wir uns anpassen müssten, wir haben Lösungen – aber trotzdem hinken wir hinterher.“

Dabei drängt die Zeit: Während Kriege internationale Zusammenarbeit blockieren und rechtspopulistische Strömungen Klimapolitik delegitimieren, wurde im vergangenen Jahr zum ersten Mal eine weltweite Durchschnittstemperatur von 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau gemessen. „Das 1,5-Grad-Ziel ist rechnerisch noch nicht gerissen, weil es dabei um einen Mittelwert über zwanzig Jahre geht“, sagt Jungmann, „aber uns läuft die Zeit davon.“

Gesundheit zunehmend Teil der Klimadiskussion

Und doch: Es gibt Fortschritte. Lange spielte Gesundheit in den internationalen Klimaverhandlungen kaum eine Rolle. Dann, 2021 in Glasgow, tauchte das Thema erstmals im offiziellen Outcome-Dokument auf. Für Jungmann war das ein Wendepunkt: „Da hat sich wirklich etwas bewegt.“ In Dubai 2023 folgte ein offizieller „Health Day“ und in Baku 2024 ist Gesundheit kein Randthema mehr – sondern Teil aller großen Verhandlungsstränge. Ein Baustein des Erfolgs: Die internationale Gesundheits-Community ist strategischer geworden und hat sich Methoden vom klassischen Lobbyismus angeeignet. „Wir schauen genauer: Wer verhandelt wo? Wer hat Einfluss? Und wie kommen wir da rein?“

Ein Format, das Sichtbarkeit schafft, ist der Lancet Countdown on Health and Climate Change. Jährlich werden hier aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aufbereitet – gut verständlich, gut kommunizierbar. Und: punktuell medienwirksam. Doch das reicht nicht. „Die große Herausforderung bleibt: Wie schaffen wir dauerhafte Aufmerksamkeit?“, fragt Jungmann. Das Problem sei oft schlicht unsichtbar. „Wenn CO₂ braun wäre oder stinken würde, hätten wir längst gehandelt“, zitiert er den Klimaforscher Mojib Latif. Doch die Erderhitzung ist für viele noch zu abstrakt. Und das erschwert den Bezug zum eigenen Leben.

Globales Problem, lokale Antwort

Dass es auch anders geht, zeigt Maxana Baltruweit, Geschäftsbereichsleiterin bei der AOK Baden-Württemberg. Sie bringt zur WeACT Con ein konkretes Praxisbeispiel mit – eine Art Mikroskop auf die Folgen des Klimawandels in Deutschland.

Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erforscht die AOK-Baden Württemberg in einer groß angelegten Studie, wie sich Klimaveränderungen auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Das DLR steuert Klima-, Wetter- und Luftdaten bei, die AOK ihre Versichertendaten. Rund 4,6 Millionen Menschen – knapp die Hälfte der Bevölkerung Baden-Württembergs – sind bei der AOK versichert. Eine beeindruckende Datengrundlage.

Gripperisiko steigt mit Feinstaubwerten

Die Forscher*innen haben unter anderem untersucht, wie stark Umweltfaktoren die Häufigkeit von Grippeerkrankungen beeinflussen. Dafür stellten sie anonymisierte Daten zu Alter, Geschlecht, Wohnort und Vorerkrankungen von AOKVersicherten den DLR-Daten zu Temperatur- und Feinstaubwerten gegenüber. Die Ergebnisse sind eindeutig: Bei den höchsten beobachteten Feinstaubwerten verdoppelt sich das Risiko, an Grippe zu erkranken, im Vergleich zu den niedrigsten Werten. Und wenn es besonders kalt wird, steigt das Risiko sogar um das Achtfache.

Checkliste:
In 10 Schritten zu mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen

  1. Betroffenheit analysieren
    Geschäftsmodell und Wertschöpfungskette auf Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen prüfen; rechtliche Anforderungen (z. B. durch CSDDD) klären und absichern.
  2. Compliance sicherstellen
    Gesetzliche Vorgaben wie CSRD, CSDDD sowie ggf. weitere relevante Regularien umsetzen; interne Prozesse entsprechend anpassen.
  3. Doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchführen
    Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft sowie umgekehrt analysieren und dokumentieren – als Grundlage für Berichterstattung und Strategie.
  4. Schnelle Verbesserungen („Quick Wins“) umsetzen
    Kurzfristig wirksame Maßnahmen identifizieren, z. B. Energieeinsparungen in Gebäuden, nachhaltige IT oder Ressourceneffizienz.
  5. Klimamanagement aufbauen
    Klimabilanz nach Scopes 1, 2 und 3 erstellen; Klimaziele und eine langfristige Klimastrategie inkl. Transformationsplan entwickeln.
  6. Nachhaltigkeitsstrategie und Maßnahmenplan entwickeln
    Nachhaltigkeitsziele formulieren, strategische Handlungsfelder definieren und konkrete Maßnahmen mit Zeit- und Budgetplanung hinterlegen.
  7. Nachhaltige Beschaffung etablieren
    Nachhaltigkeitskriterien für Einkauf und Lieferketten definieren und systematisch in Ausschreibungen und Vertragsprozesse integrieren.
  8. Lieferkettenmanagement stärken
    Code of Conduct überarbeiten, Lieferantenbewertung weiterentwickeln und ein nachhaltigkeitsorientiertes Lieferantenmanagement einführen.
  9. Nachhaltigkeit in Steuerungsinstrumente integrieren
    Nachhaltigkeitsaspekte im Qualitätsmanagement, Risikomanagement und Controlling verankern.
  10. Leuchtturmprojekte realisieren
    Sichtbare Vorzeigeprojekte umsetzen, z. B. nachhaltige Gebäude, klimafreundliche Produktionsprozesse oder grüne Innovationen im Kerngeschäft.

Das ist nur ein Anfang – die Datengrundlage ermöglicht viele weitere Analysen. Als nächstes soll erforscht werden, wie stark Kinder durch extreme Hitze belastet sind. „Kinder spielen beim Klimaschutz kaum eine Rolle – das ist ein riesiges Problem“, sagt Baltruweit. Mit jeder weiteren Studie kommen die Forscher*innen ihrem Ziel näher: individuelle Gesundheitsempfehlungen, abgestimmt auf regionale Bedingungen – egal ob im Rheingraben oder im Schwarzwald.

Die Verbindung von globaler Herausforderung und lokalem Handeln, die Dr. Jungmann einfordert, nimmt in Baden-Württemberg Gestalt an. Die Analysen zeigen: Der Klimawandel ist kein fernes Risiko, sondern ein akutes Gesundheitsproblem. Wer das erkennt, kann kaum noch wegblicken – und genau darin liegt ihr politisches Potenzial.

Text: Tilman Eicke, Ahnen&Enkel

Dr. Maximilian Jungmann ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer von Momentum Novum, einer Strategieberatung für Nachhaltigkeit, sowie des Heidelberg Center for the Environment. Er lehrt an mehreren Hochschulen, unter anderem in Heidelberg und am KIT, und hat zu den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels promoviert.

Maxana Baltruweit leitet den Bereich „Gesellschaftliche Verantwortung“ bei der AOK Baden-Württemberg. Sie entwickelt CSR-Strategien und verfügt über umfassende Erfahrung in Nachhaltigkeit, Umwelt- und Projektmanagement.