Interview mit Oliver Huizinga
Interview mit Oliver Huizinga

„Die gesunde Wahl muss zur leichteren Wahl werden“

Was hat der Klimawandel mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu tun? Und warum stirbt in Deutschland fast jeder zweite Mensch an vermeidbaren Ursachen? Oliver Huizinga, Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband, fordert ein Umdenken – im Gesundheitswesen und in der Politik.

Interview: WeACT Con

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Herr Huizinga, Deutschland gibt im europäischen Vergleich sehr viel Geld für Gesundheit aus. Trotzdem ist die Lebenserwartung unterdurchschnittlich. Wie passt das zusammen?

Oliver Huizinga: Ein wesentlicher Grund ist die hohe Krankheitslast durch sogenannte nichtübertragbare Erkrankungen – also Krankheiten wie Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Die gute Nachricht ist: Ein großer Teil dieser Krankheitslast ist verhaltensbedingt und somit beeinflussbar. Studien zeigen, dass vier von zehn Todesfällen in Deutschland letztlich auf nur vier Risikofaktoren zurückzuführen sind: Rauchen, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und Alkohol. Das zeigt das enorme Potenzial präventiver Maßnahmen – aber auch, wie viel wir bisher liegen lassen.

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Warum tut sich Deutschland mit Prävention so schwer?

Wir hinken vor allem bei den politischen Rahmenbedingungen hinterher. Dort, wo wirtschaftliche Interessen berührt sind – etwa bei der Tabak-, Alkohol- oder Lebensmittelindustrie – ist Deutschland besonders zögerlich. Andere Länder haben längst strukturelle Maßnahmen ergriffen: Werbebeschränkungen, Lenkungssteuern, bessere Kennzeichnung. In Deutschland ist die Lobbyarbeit dieser Industrien leider sehr erfolgreich – zum Nachteil der öffentlichen Gesundheit und letztlich auch der Volkswirtschaft. Dabei sollte eigentlich gelten: Das Gemeinwohl muss Vorrang haben vor kommerziellen Partikularinteressen.

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Welche Rolle spielt der Klimawandel in diesem Zusammenhang?

Hitze ist hierzulande das größte direkt mit dem Klimawandel verbundene Gesundheitsrisiko. In heißen Sommern sehen wir in den Daten bereits eine Übersterblichkeit von etwa 10.000 Menschen. Gemessen daran ist die Sensibilisierung in der Bevölkerung allerdings noch unzureichend, es wird als seichtes Thema verkannt. Das Thema Hitze ist ein besonders deutliches Beispiel für Co-Benefits: Wirksamer Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Und umgekehrt gilt: Viele Maßnahmen zum Schutz des Klimas wirken auch unmittelbar gesundheitsförderlich.

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Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Bewegung im Alltag ist ein gutes Beispiel. Wenn Menschen häufiger zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren oder den ÖPNV nehmen, ist das nicht nur gut für die individuelle Gesundheit, sondern reduziert auch Emissionen. Oder die Ernährung: Weniger Fleisch und Wurst zu essen fördert die Gesundheit und schont gleichzeitig Ressourcen und Klima. Umwelt und Gesundheit hängen eng miteinander zusammen.

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Welche Verantwortung trägt das Gesundheitswesen selbst?

Wenn es uns gelingt, durch eine kluge Präventionspolitik den Gesundheitszustand der Bevölkerung signifikant zu verbessern, wirkt sich das unmittelbar auf den ökologischen Fußabdruck des Gesundheitswesens aus. Es mag banal klingen, aber vermiedene Erkrankungen bedeuten eben auch vermiedene Behandlungen, vermiedene Operationen, vermiedene Arzneimittel, vermiedene Hilfsmittel, vermiedene Fahrten – also all das, was den Fußabdruck des Gesundheitssystems überhaupt erst ausmacht.

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Was müsste sich strukturell ändern, damit Prävention besser wirkt?

Eine erfolgreiche Prävention muss an vielen Ebenen ansetzen, ganz im Sinne des Health-in-all-Policies-Ansatzes. Viele Menschen möchten sich gesünder verhalten. Es fällt ihnen aber schwer, das in ihrem Alltag umzusetzen. Zum Beispiel war es nie leichter als heute, zu viel vom Falschen zu essen und sich zusätzlich kaum zu bewegen. Die gesunde Wahl muss zur leichteren Wahl werden. Das gelingt durch gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen: sichere Fuß- und Radwege, gesunde Schul- und Kitaverpflegung, Werbebeschränkungen für ungesunde Produkte oder Lenkungssteuern sind große Hebel. Die Krankenkassen können Impulse setzen, Angebote zur Steigerung der Gesundheitskompetenz in die Fläche bringen und Aufklärung leisten – aber die Rahmenbedingungen bestimmt letztlich die Politik.

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Und wie schätzen Sie die politische Lage aktuell ein?

In den Koalitionsverhandlungen war das Thema Prävention leider nur eine Randnotiz. Union und SPD verkennen die übergeordnete Relevanz, die die vermeidbar hohe Krankheitslast für die Solidarsysteme und Volkswirtschaft hat. Vor allem fehlt die Erarbeitung einer Public-Health-Strategie, welche gesundheitsförderliche Lebensbedingungen zum Ziel hat. Zudem sind keine konkreten, vielversprechenden Maßnahmen zur Eindämmung des Rauchens, Alkohol und Förderung gesünderer Ernährung absehbar. Politisch scheint die Strategie zu sein, die Menschen erst krank werden zu lassen, um sie dann teuer zu behandeln. Meine These: Es ist nur eine Frage Zeit, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass wir uns diese Strategie nicht dauerhaft leisten können.

Oliver Huizinga ist Abteilungsleiter Prävention beim AOK-Bundesverband und einer von vielen spannenden Referenten der WeACT Con.