Workshop #1

Mit vereinten Kräften: Klimabilanz & Versorgung verbessern

Das Aktionsbündnis „Umwelt- und klimafreundliche Arzneimittel und Medizinprodukte“ (UKAM) will mit der Umweltbilanz auch die Versorgung verbessern. Wie das gelingt, diskutierten die Teilnehmer*innen im Workshop #1 mit Dr. Christian Grah, Martin König und Dr. Matthias Albrecht am Beispiel der Inhalativa.

Was sind die Kernthesen aus dem Impulsvortrag?

Etwa acht Millionen Menschen leiden in Deutschland an akuten Atemwegserkrankungen. Gängige Dosieraerosole, die zur Therapie eingesetzt werden, nutzen als Treibmittel Gase, die eine starke Treibhauswirkung haben. Neue Treibmittel mit deutlich geringerem Schädigungspotenzial befinden sich zwar in der Entwicklung, sind jedoch noch nicht auf dem Markt erhältlich. Die Alternative zu Dosieraerosolen sind sogenannte Pulverinhalatoren, die allerdings ebenso nicht für alle Anwendungen und Patient*innen geeignet sind.

Das Aktionsbündnis UKAM sucht gemeinsam mit Vertreter*innen verschiedener Einrichtungen und Institutionen im Gesundheitswesens nach Lösungen, um die Emissionen klimaschädlicher Gase zu reduzieren und gleichzeitig die Versorgungsqualität zu verbessern.

  1. Optimierte individualisierte Therapie: Das bedeutet eine Patient*innenzentrierte und leitliniengerechte Therapie mit Krankheitskontrolle und eine durch Schulungen optimierte Inhalationstechnik bei den Patient*innen.
  2. Förderung von Forschung und Entwicklung: Dazu gehört die Entwicklung neuer Treibmittel mit geringerem Erderwärmungspotential, aber auch die Verbesserung der Anwendung von Inhalativa – und die Frage, wie diese im medizinischen Alltag umgesetzt werden kann.
  3. Ganzheitliche Umweltbetrachtung: Dazu gehört eine umfassende Lebenszyklusanalyse einschließlich Herstellung, Nutzung und Entsorgung. Ebenso sollen umweltgerechte Entsorgung bzw. Recycling-Konzepte unterstützt werden.
  4. Prävention: Durch Aufklärung sowie durch Reduktion von Luftverschmutzung und Feinstaub.

Welche Erkenntnis führte zu einem „Aha“-Moment im Workshop?

  • Das Aktionsbündnis UKAM überschreitet Grenzen – denn bei UKAM kommen Akteur*innen aus verschiedensten Einrichtungen und Institutionen im Gesundheitswesen zusammen, die sonst kaum oder gar nicht zusammenarbeiten, um kooperativ Lösungswege aufzuzeigen.
  • Um Umweltauswirkungen bewerten und transparent vergleichen zu können, sind einheitliche und international gültige Prüf-Standards notwendig, wie sie etwa die ISO-Normen bieten.
  • Eine Regulatorik zur Verbesserung der Nachhaltigkeit muss sich zuerst am Bedarf der Patient*innen orientieren.
  • UKAM zeigt, dass Initiativen für mehr Nachhaltigkeit nicht auf die Politik warten müssen. In vielen Bereichen gibt es schon jetzt Handlungsspielräume, um Dinge wesentlich zu verbessern.

Wie geht es weiter?

Ziel von UKAM ist es, die Treibhausgasemissionen bei der Therapie von Atemwegserkrankungen mit Inhalern (= Dosieraerosolen), die keine optimale Deposition der Wirkstoffe in der Lunge erreichen, deutlich zu reduzieren.

Dafür sollen die Ergebnisse von UKAM in Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften, Ärztekammern, Apotheken und den Apothekenverbänden verbreitet und die Versorgungsforschung weiterentwickelt werden.

  • Dazu gehört die Bekanntmachung der S2k-Leitlinie zur „Klimabewussten Verordnung von Inhalativa“ über alle Kanäle der UKAM-Mitglieder (Veröffentlichungen, Symposien, Workshops, Zusammenarbeit mit Herstellern, Medizinjournalisten etc.)
  • Das Aktionsbündnis KLUG für UKAM wird mit fünf konkreten Projekten Aufklärungsarbeit und Peer to Peer – Schulungen, Kampagnen und wissenschaftliche Studien und Symposien durchführen, um mehr Aufmerksamkeit und Umsetzungstreue der leitlinienorientierten Medizin zu erreichen.

Zudem sind weitere UKAM-Arbeitsgruppen geplant, um klimafreundliche Medizin bekannter zu machen, die zugleich einen Vorteil für Patient*innen ergeben. Angedacht ist zum Beispiel eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Anwendung von Voltaren/Diclofenac-Salben beschäftigt, da diese einen sehr großen Umweltschaden erzeugen und klimafreundliche und gleichwirksame Alternativen zur Verfügung stehen.

Welche Herausforderungen müssen überwunden werden?

Das Bewusstsein, dass die Behandlung mit Arzneimitteln und der Einsatz von Medizinprodukten Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, ist noch sehr gering. Hinzu kommt, dass der Therapiebedarf der Patient*innen selbstverständlich die höchste Priorität hat.

Alternative Therapieentscheidungen, die die Umweltauswirkungen mit in den Blick nehmen, müssen daher praktikabel, transparent und am Patient*innenbedarf ausgerichtet sein.

Welche Forderungen stellen Sie an Politik und Verbände?

  • Nachhaltigkeit muss als ergänzendes Kriterium im SGB V fest verankert werden.
  • Für das deutsche Gesundheitswesen muss eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt werden.
  • Wir benötigen verpflichtende internationale Standards für PCF (Product Carbon Footprint)
  • UKAM-Projekte brauchen finanzielle Unterstützung.

In einem Satz: Was können die Zuhörenden ab morgen anders machen?

Jede und jeder kann direkt in seinem Bereich aktiv werden: Bei der Therapieentscheidung, bei der Beratung in der Apotheke, auf Seiten der Hersteller, auf Seiten der Krankenkassen und in der Politik.

Wer sich aktiv beteiligen möchte, kann sich direkt an UKAM wenden: Tatkräftige Unterstützung von Personen, die mitarbeiten und helfen wollen, ist immer willkommen.

Das Aktionsbündnis „Umwelt- und klimafreundliche Arzneimittel und Medizinprodukte“ (UKAM)

UKAM will ein resilientes und klimafreundliches Gesundheitswesen fördern, in dem die Bedürfnisse erkrankter Menschen und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen gleichermaßen berücksichtigt werden.

UKAM verfolgt dabei einen Multi-Stakeholder-Ansatz und ist als Aktionsbündnis unabhängig von Einzelinteressen. Projektbezogen bringt es Vertreterinnen und Vertreter aus allen relevanten Bereichen des Gesundheitswesens zusammen.

Anfang 2025 hat die Allianz für Klima und Gesundheit (KLUG e.V.) als unabhängige NGO das Aktionsbündnis übernommen.

Kontakt:
Matthias Albrecht
matthias.albrecht@klimawandel-gesundheit.de

Martin König
martin.koenig@bkk-dv.de

Christian Grah
christian.grah@klimawandel-gesundheit.de

Auf der Webseite von KLUG e.V. kann noch die gemeinsame Erklärung des Aktionsbündnisses zur Patient*innenfreundlichen und klimabewussten Verordnung von Inhalativa unterzeichnet werden.

Text: Kai Weller, Ahnen&Enkel

Matthias Albrecht Matthias Albrecht ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und bringt fast 30 Jahre ärztliche Erfahrung im Gesundheitswesen mit, davon 15 Jahre als ärztlicher Leiter und Geschäftsführer im Krankenhaus. Er war über 15 Jahre Geschäftsführer des Evangelischen Krankenhaus Hubertus, das 2001 als erstes deutsches Krankenhaus vom BUND als „grünes Krankenhaus“ zertifiziert wurde. Seit 2023 ist Matthias Albrecht hauptamtlich in der Geschäftsführung von KLUG e.V..

Martin König leitet beim BKK Dachverband e.V. die Stabsstelle Nachhaltigkeit. Der Diplom-Gesundheitswirt und Sozialversicherungsfachangestellte verfügt über umfangreiche und langjährige Expertise im Programm- und Projektmanagement sowie in den Themenfeldern digitale Transformation. Zuvor hat er in der Abteilung Gesundheitsförderung, Pflege und Rehabilitation des BKK Dachverbandes das digitale Präventionsprodukt Mein Phileo vorangetrieben.

Christian Grah ist Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Pneumologie, Intensivmedizin, Psychoonkologie und Tabakentwöhnung. Er ist leitender Arzt der medizinischen Klinik und des Lungenkrebszentrums am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin. Dr. Grah ist Mitbegründer des Krankenhauses und leitet das Projekt Zero-Emission-Hospital. Zudem ist er Mitglied der deutschen Allianz für Klima und Gesundheit (KLUG e.V.).