Workshop #3
KI-Screening statt Praxisbesuch: Wie nachhaltig ist digital?
Welchen Beitrag digitale Lösungen zu mehr Nachhaltigkeit und Zugangsgerechtigkeit im Gesundheitswesen leisten können, war Thema des Workshops von Prof. Dr. Oliver Gröne (Universität Witten/Herdecke) und Dr. med. Anne Latz (Uniklinik Köln). Bei der kritischen Diskussion im Plenum und in zwei Arbeitsgruppen zeigte sich eine deutliche Ambivalenz in der Bewertung.
Was sind die Kernthesen aus den Impulsvorträgen?
Die Digitalisierung bietet das Potential, den Zugang zu Gesundheitsleistungen zu verbessern und das Gesundheitswesen nachhaltiger zu machen. Angebote wie Videosprechstunden oder KI-gestützte Apps zur Selbstuntersuchung, etwa für ein Hautkrebs-Screening, sparen erheblich Zeit, Wege und womöglich stationäre Aufenthalte und deren Emissionen.
- Davon, dass die Diagnostik direkt zu ihnen nach Hause kommt, profitieren besonders Patient*innen in ländlichen Regionen oder solche mit eingeschränkter Mobilität.
- Innovationen wie digitale Patientenakten oder e-Rezepte senken den Verbrauch von Energie und Papier und steigern die Effizienz des Systems.
- Dies gilt auch für automatisierte Terminplanungen, die die Logistik von Gesundheitseinrichtungen optimieren und Leerläufe minimieren.
Allerdings ist nicht alles technisch Machbare auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Denn auch digitale Angebote verbrauchen Ressourcen und haben Einfluss auf die Klimabilanz.
Welchen „Aha“-Moment gab es im Workshop und warum?
Digital bedeutet nicht automatisch „grün“. Digitale Lösungen können die Versorgung und Prävention verbessern, etwa durch virtuelle – und damit ortsunabhängige – Sprechstunden. Gleichzeitig erzeugt der Betrieb der notwendigen IT-Infrastruktur andernorts Emissionen – je nachdem, wie die dafür benötigte Energie gewonnen wird. Insbesondere das Training von KI-Modellen ist aktuell noch mit enormen Energieaufwand verbunden.
Essenziell sei daher, betonte Prof. Dr. Gröne, Digitalisierung sektorenübergreifend zu sehen – statt auf isolierte Einzelmaßnahmen zu setzen, die zwar zu punktuell verbesserter Versorgung führen, jedoch nicht unbedingt zu mehr Klimaschutz.
Welche Herausforderungen müssen überwunden werden?
Die Digitalisierung muss an den Bedürfnissen der Patient*innen ausgerichtet sein. Der tatsächliche Bedarf muss anhand von typischen Nutzungsszenarien geklärt werden (Patient Journeys). Die Patient*innen wiederum benötigen die Kompetenz, digitale Lösungen auch zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden (Digital Health Literacy).
Welche Rahmenbedingungen könnten helfen?
Die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung nationaler Strategien, die digitale Gesundheitslösungen und Nachhaltigkeit fördern. Dazu gehören:
- Einheitliche technische Standards zur sicheren und nahtlosen Kommunikation
- Faire Vergütungsmodelle für digitale Leistungen
- Förderprogramme, die Digitalisierungsprozesse unterstützen, nach klaren, praxistauglichen Regeln
- Datensouveränität und Datenschutz für die Patient*innen
- Bildungsoffensiven für Gesundheitsberufe und für die breite Bevölkerung.
In einem Satz:
Was können die Teilnehmenden ab morgen anders machen?
Auf das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ hinarbeiten, aber „nachdenklich bleiben bei der Umsetzung“ – damit digitale Lösungen dort eingesetzt werden, wo sie die Versorgung und die Klimabilanz tatsächlich verbessern.
Text: Matthias Bauer, Ahnen&Enkel
Prof. Dr. Oliver Gröne, PhD MSc, ist Chief Scientific Officer der OptiMedis AG und Leiter der Forschungsabteilung. Er arbeitete viele Jahre für die Weltgesundheitsorganisation, zuletzt als Leiter des Programms „Qualität von Gesundheitssystemen“. Im Jahr 2023 wurde ihm der Titel eines außerplanmäßigen Professors an der Universität Witten/Herdecke verliehen.
Dr. med. Anne Latz, M.Sc., praktiziert an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Köln und ist eine führende Expertin für Prävention und digitale Medizin in Deutschland, spezialisiert auf metabolische, mentale und weibliche Gesundheit. Als Mitgründerin und Chief Medical Officer von HELLO INSIDE entwickelt sie innovative Lösungen für personalisierte digitale Gesundheitsangebote.