Auszug des Vortrags von Prof. Ilona Kickbusch auf der WeACT Con 2025
Gesundheit neu denken: Für Menschen – und den Planeten
Wie wir Gesundheit verstehen, bestimmt, wie wir handeln. Die Gesundheitsexpertin Ilona Kickbusch plädiert auf der WeACT Con für ein erweitertes Verständnis: Wer die Klimakrise ausklammert, kann Gesundheit nicht wirksam schützen.
Globale Gesundheitskrisen wie Pandemien, Hitzewellen oder Antibiotikaresistenzen zeigen mit zunehmender Deutlichkeit: Gesundheit ist keine rein nationale oder individuelle Angelegenheit. Sie ist eng verknüpft mit internationalen politischen Entwicklungen – und mit dem Zustand unseres Planeten. Doch beides gerät derzeit unter Druck: Die internationale Zusammenarbeit wird fragiler, während die ökologischen Belastungen zunehmen.
Ilona Kickbusch sieht darin eine doppelte Herausforderung. Sie ist Gründerin des Global Health Center in Genf, hatte 1986 eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der internationalen Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung inne und gilt seit Jahrzehnten als Vordenkerin der globalen Gesundheitspolitik. „Gesundheit ist zutiefst politisch – und gleichzeitig zutiefst ökologisch. Wir müssen lernen, beides gemeinsam zu denken.“
Einen klaren Rahmen dafür biete das Modell der planetaren Grenzen (siehe Abbildung 1). Es definiert den sicheren Handlungsspielraum der Menschheit innerhalb ökologischer Belastungsgrenzen. Sechs von neun dieser Grenzen sind bereits überschritten. Einige beinhalten sogenannte Kippelemente wie das Abschmelzen des Grönlandeises oder das Absterben von Korallenriffen. Werden diese überschritten, drohen unumkehrbare Veränderungen – mit direkten Auswirkungen auf unsere Gesundheit.

Abbildung 1 - Die neun planetaren Grenzen
Quelle: Stockholm Resilience Centre, 2023
Gesundheit endet nicht an Landesgrenzen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), jahrzehntelang Garant globaler Kooperation, ist zunehmend Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Während einige Staaten ihre Unterstützung zurückfahren oder sich sogar aus globalen Abkommen zurückziehen, werde in den Gremien um grundlegende Werte gerungen, so Kickbusch. Begriffe wie Gerechtigkeit, Menschenrechte oder Solidarität, die lange als gemeinsame Basis galten, stünden vielerorts zur Disposition.
Kickbusch warnt: „Wenn wir internationale Gesundheitspolitik schwächen, schwächen wir unsere Fähigkeit, auf gemeinsame Bedrohungen zu reagieren.“ Die globale Dimension von Gesundheit dürfe nicht aus dem Blick geraten – gerade in Zeiten, in denen Krisen vermehrt grenzüberschreitend auftreten.
Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit
Gleichzeitig wirft die Klimakrise ein neues Licht auf unser Gesundheitsverständnis. Hitze, Luftschadstoffe, Wassermangel, der Verlust biologischer Vielfalt – all das wirkt sich direkt auf die Gesundheit von Millionen Menschen aus. Und dennoch, so Kickbusch, werde Umwelt häufig noch als „externes Thema“ behandelt, losgelöst von Gesundheitsfragen.
„Wir brauchen ein neues Paradigma, das menschliche und planetare Gesundheit gemeinsam in den Blick nimmt. Wenn sich das Klima verändert, Ökosysteme zerstört werden und Tiere krank werden, dann bleiben auch Menschen nicht gesund. Gesundheit entsteht im Zusammenspiel von Mensch, Tier und Umwelt.“
Konzepte wie One Health oder Planetary Health zeigen: Gesundheit bedeutet mehr als individuelles Wohlergehen – sie entsteht aus einem Gleichgewicht zwischen Mensch, Natur und Gesellschaft. Wer das ernst nimmt, erkennt: Vorsorge beginnt nicht erst in der Arztpraxis, sondern dort, wo Lebensgrundlagen geschützt werden.
Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung (1986):
Die Ottawa-Charta ist ein wegweisendes internationales Dokument, das Gesundheit als Ergebnis sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Lebensbedingungen definiert. Sie betont die Bedeutung von Beteiligung und gesunden Lebenswelten und fordert umfassende Strategien zur Gesundheitsförderung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Ilona Kickbusch gehörte zu den zentralen Expertinnen bei ihrer Entwicklung.
Der Gesundheitssektor kann Vorreiter sein
Dabei geht es für Kickbusch nicht nur um politische Rahmenbedingungen – sondern auch um das eigene Handeln im Gesundheitswesen. Der Sektor ist ein wichtiger Teil unserer Daseinsvorsorge. Doch seine Strukturen und Lieferketten verursachen auch Emissionen, Müll und Ressourcenverbrauch (siehe Abbildung 2).
Trotzdem betont Kickbusch: „Gerade im Gesundheitswesen gibt es große Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Und es gibt viel Wissen, wie nachhaltige Veränderungen aussehen können.“
Ob klimaneutrale Krankenhäuser, ressourcenschonende Beschaffung oder mehr Umweltbildung in der medizinischen Ausbildung – zahlreiche Initiativen weltweit zeigen, wie Gesundheitseinrichtungen selbst zum Teil der Lösung werden können.

Abbildung 2 - Emissionen im Gesundheitswesen
Quelle: NHS England. (2020). Delivering a ‘Net Zero’ National Health Service. NHS England
Planetare Gesundheit braucht politisches Handeln
Am Ende ist Gesundheit auch eine Frage von Gerechtigkeit: Die Folgen der Klimakrise treffen nicht alle gleich. Menschen im globalen Süden, vulnerable Gruppen oder Kinder sind oft besonders betroffen – obwohl sie am wenigsten zur Krise beigetragen haben. Gesundheitspolitik, die sich ernst nimmt, muss diese Ungleichheiten anerkennen und abbauen.
Kickbusch fordert deshalb: „Wir brauchen mehr Mut zur Kooperation – und mehr Bereitschaft, Verantwortung über Sektor- und Landesgrenzen hinweg zu teilen.“ Planetare Gesundheit sei kein Nischenthema, sondern die Voraussetzung für eine lebenswerte Zukunft.
Text: Nora Lessing, Ahnen&Enkel
Professorin Ilona Kickbusch war maßgeblich an der Formulierung der Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung beteiligt. Sie gründete das Global Health Center in Genf und gilt als eine der wichtigsten Vordenkerinnen der globalen Gesundheitspolitik. Seit Jahrzehnten berät sie internationale Organisationen und Regierungen und setzt sich für ein umfassendes Verständnis von Gesundheit ein, das Umwelt- und soziale Faktoren gleichermaßen berücksichtigt.